Dorf Oerhus

Das Dorf Oerhus

Das Dorf Oerhus liegt im Nordosten der Hohen Länder am Rande des großen Waldes. Die Bewohner dieses kleinen Fleckens sind friedliche Leute, Bauern und Handwerker. Zumindest auf den ersten Blick vielleicht ist der eine oder andere doch mehr, als er erkennen läßt. Seit je her war das Dorf offen für Pilgerer und Fremde, die seßhaft werden wollten. Denn so war das Dorf dereinst entstanden, vor vielen hundert Jahren. Wie lange es genau her ist, das weiß so recht niemand. Vertriebene waren es, die damals in die noch unbewohnten und wilden Teile LARHGOs vordrangen, auf der Suche nach einer neuen Existenz. Die Böden um Oerhus waren gut und fruchtbar, und so beschloß man, dort ein Dorf zu gründen.

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Die Cruthini

Das Einzige, was gegen diesen Platz sprach, war der nahe Wald, der ungewiß und drohend wirkte. In diesem Wald schienen andere Menschen zu leben, die Cruthini, wie sie die Oerhuser nannten. Ein fremdenscheues, naturverbundenes Stammesvolk, das nie die schützenden Wälder verließ. Glücklicherweise waren die Cruthini friedliebend und scheu, so daß es zwischen den Oerhusern und den Cruthini nie zu Gefechten kam, ja sogar kaum zu Begegnungen. Heute leben die Cruthini immer noch in den Wäldern und man respektiert sie, jedoch ist der Wald inzwischen erkundet und hat viel von seiner Unheimlichkeit verloren.

Der Geist und die Wölfe

Doch fürwahr scheint ein Teil der Unheimlichkeit auf das Dorf selber übergegangen zu sein. Alte Überlieferungen berichten, daß bereits vor etwa vierhundert Jahren Seltsames im Dorf geschah, Unglück suchte es heim, zunächst nur kleine Mißgeschicke, doch bald schon Schlimmeres, Verletzte, schließlich Tote. Dazu seltsame Zeichen. Niemand weiß heute noch, wieviel davon wahr ist und wieviel Schreckgeschichte für unartige Kinder, doch berichtet die Geschichte weiter, daß der Dorfrat Hilfe bei den Cruthini suchte. Diese fanden einen bösen Geist und in einem undurchsichtigen Tanz bannten sie den Geist in ein undurchdringliches Gefäß. Auf den Winter vor zweihundertzwölf Jahren datiert ein Ereignis, welches bis heute jedem, der davon hört, einen Schauer über den Rücken jagt. Damals hatte der Winter das Land besonders hart in seinem Griff. Die Ernte im Jahr davor war nicht besonders gewesen, und so plagte der Hunger die Dorfbewohner. Wenige Tage nach der Jahreswende sollte das Leid seinen Höhepunkt finden: Unter lautem Geheul und mit wildem Blick brachen Heerscharen von Wölfen aus dem Wald und drangen in das Dorf. Riesige Tiere waren das, keine natürlichen Wölfe, da sind sich alle einig. Sie rissen alle Tiere und auch einige Menschen, die sich mit dem Mut der Verzweiflung auf die Bestien warfen und sie mit Sensen und Forken angriffen. Plötzlich zuckte ein heller Blitz vom wolkenverhangenen Himmel und das Haupthaus geriet in Brand. Sah das zunächst nach einem weiteren Schicksalsschlag aus, so zeigte sich schließlich, daß es ein glückliches Ereignis war, denn vor dem Feuer flüchteten in wilder Panik die Wölfe und ließen sogar einen Teil ihrer Beute zurück. In der einen oder anderen Familie findet sich noch heute ein Fell eines der erschlagenen Wölfe.

Jondalruns Felder

Nicht einmal hundert Jahre zurück liegt der Grund für einen gutmütigen Zwist zwischen den Oerhusern und den Bewohnern des etwa zwei Tagesreisen entfernt liegenden Dorfes Billfelden. Zwischen diesen beiden Dörfern liegen die Felder und Wiesen des Bauern Jondalrun. Dieser lebte auf einem Gehöft, das mehr oder weniger genau zwischen Billfelden und Oerhus liegt. Und als Jondalrun starb, da waren keine Söhne oder sonstige Erben da, die das Gehöft übernehmen könnten. In einem solchen Falle obliegt es der Dorfverwaltung, das weitere Geschick des Gehöftes in die Hand zu nehmen. Nun entbrannte aber ein Streit, welches der beiden Dörfer denn in diesem Falle zuständig wäre. Die Felder waren fruchtbar und die Wiesen saftig, so daß jeder gerne Nutzen davon gehabt hätte. “Bei uns brachte er sein Vieh auf den Markt”, argumentierten die Oerhuser, “er gehört zu uns!” Dagegen hielten die Billfeldener, daß er zu ihnen gekommen wäre, um das Korn zu mahlen. Er gehöre also ohne Zweifel zu Billfelden. Nun weiß jeder Oerhuser, daß die Billfeldener die einzige Mühle weit und breit haben und so jeder nach Billfelden muß, wenn er Korn mahlen will. Weitere Gründe immer fadenscheinigerer Art gaben beide Dörfer an, und da man sich hitzig geredet hatte, entbrannte eine wilde Prügelei, bei der der Oerhuser dummerweise den kürzeren zogen. Somit sahen die Billfeldener die Sache für entschieden an und brachten ihr Vieh auf die Weiden und ihre Knechte auf die Felder des Jondalrun. Als sich aber der Abend vom 11. auf den 12. Tag des 11. Monats jährte, da sahen es die Oerhuser als gerecht an, sich ihr Stück Land zurückzuholen. Sie fanden die Billfeldener völlig überrascht und unvorbereitet. Und diesmal ging das Glück zu Gunsten der Oerhuser aus, so daß das Land endlich in die richtigen Hände überging. Der weise Leser ahnt schon, was weiter geschah, und richtig, im Jahr darauf vergaßen die Billfeldener den Jahrestag nicht - die Oerhuser aber auch nicht. Sie konnten ihren Anspruch behaupten - im Jahr darauf aber nicht. Immer wieder wogte das Glück hin und her, und mal bewirtschaftete das eine, mal das andere Dorf das Land. Inzwischen ist aus dem Streit ein wahres Ereignis geworden. Jedes Jahr, wenn sich das Ereignis jährt, treffen die beiden Dörfer aufeinander. Letztes Jahr waren es die Oerhuser, die die Felder des Jondalrun bewirtschafteten, und so werden dieses Jahr wohl die Billfeldener ankommen.

Das große Opfer

72 Jahre zurück liegt es nun, daß das große Opfer stattfand. Wie kam es dazu? Drei Jahre lang suchten dürre Sommer und harte Winter das Land heim. Die Ernten waren spärlich, das Vieh krank, und bald auch viele aus dem Dorf. Die Felder des Jondalrun wurden in jedem dieser Jahre von den Billfeldenern gewonnen, doch selbst diese Felder trugen nur wenig Frucht. Jedes Jahr bat man den Gehörnten darum, das nächste Jahr besser werden zu lassen, doch nichts half. So reisten denn drei der kräftigsten Recken des Dorfes fort, um einen Kundigen zu finden, der ihnen helfen würde. Nur zwei der Burschen kamen nach sieben Wochen zurück, doch sie brachten Rat mit. Ein weiser Schamane, der sein Dasein in Einsiedelei weit im Süden im Wald fristete, befragte seine Stäbe und las den Zorn des Gehörnten. Einer der Holzfäller im Dorf Oerhus hatte aus großer Gier einen wunderschönen Eichbaum aus dem Wald geholt, nachdem er ihn mit eigener Hand gefällt hatte. Er glaubte so recht an nichts und kümmerte sich nicht darum, daß es ein heiliger Hain war, dem er das Holz entriß. Mit gutem Gewinn verkaufte er das gute Holz an den Grafen. Und all das war der Grund, warum der Gehörnte sich vom Dorfe Oerhus abwandte. Nun hatte der Schamane in seinen Stäben gelesen, daß die Oerhuser auf die Jagd gehen sollten und das erste Tier, daß sie fingen, opfern sollten. Nur das Fell sollten sie behalten zum Gedenken. Und so zogen die besten Jäger des Dorfes in den Wald, sich wohl bewußt, daß wenn die Wildhüter des Grafen sie erwischten, es um ihr Leben schlecht stünde. Da brach ein Hirsch vor ihnen aus dem Walde, und mit guten Schüssen gelang es ihnen, das Tier niederzustrecken. Allen im Dorfe lief das Wasser im Munde zusammen ob solch einer königlichen Beute. Viele hätten das Tier lieber gegessen denn es geopfert. Doch der Dorfrat ließ die Opferriten durchführen und übergab das Fleisch den Flammen. Das Fell aber kann man noch heute bewundern, und es mahnt alle, Respekt zu haben vor dem Gehörnten, auf daß es einem nicht ergehe wie Barnhelm, dem Holzfäller, der des Dorfes verwiesen wurde.

Hernoars Hütte

Und immer noch sind die wichtigsten Ereignisse des Dorfes Oerhus nicht zu Ende erzählt. Denn nun genau fünfzig Jahre ist es her, daß jene Hütte verwunschen wurde. Ein seltsamer Kautz wohnte damals da drinnen, Hernoar wurde er genannt. Magie umgab ihn, und so lebte er für sich und wurde gemieden, wenn auch geduldet, denn hin und wieder tat er auch Gutes für Kranke oder Verletzte. Doch im allgemeinen entwich seiner Hütte übler Geruch, mitten in der Nacht gab es Lärm und mehr als einmal fing die Hütte Feuer. So war es denn nichts Sonderbares, daß die Hütte seit einiger Zeit manchmal Abends von strahlend hellem Licht erfüllt war. Wesentlich ungewöhlicher aber war, daß einige Bewohner des Dorfes spurlos verschwunden waren. Zunächst dachte man, sie wären entführt worden oder hätten sich verlaufen, oder ihnen wäre etwas zugestoßen, doch schon bald brachte man das Verschwinden mit dem Leuchten in der Hütte in Verbindung und stellte Hernoar zur Rede. Dieser sagte gar nichts, selbst als man ihm Gewalt androhte. Schließlich wagten sich einige mutige Bauern wohl bewaffnet in das Haus und entdeckten gar seltsames Zeugs, übersät mit düsteren Symbolen. Daneben Flaschen, Bücher, tote Tiere und anderes. Eifrig versuchten die Oerhuser Hernoar Informationen abzupressen, doch dieser schwieg beharrlich. Voller Panik und Furcht schließlich lynchten die Oerhuser den finstren Mann. Noch heute machen Mütter mit dieser Geschichte ihre Kinder gefügig. Das Haus aber wurde verschlossen und versiegelt, und so steht es da bis zum heutigen Tage.

Der “Rabe”

Und noch mehr Dinge gibt es in diesem Dorf, die ungeklärt sind. Da ist jener mystische Mensch, den alle den Raben nennen, den aber noch nie jemand wirklich gesehen hat. Schon seit langem geistert die Legende von ihm durch die Wirtshäuser. Er soll ein Mensch sein, der mit unehrenhaftem Volke zusammenarbeitet. Er soll über ein ganzes Heer Meuchelmörder und Diebe gebieten, jedoch selbst seine Diener kennen ihn nur maskiert. Man munkelt, daß er in Wirklichkeit ein Edelmann ist und des Tags ehrlichen Geschäften nachgehe. Andere meinen, das alles sei Humbug und der Rabe sei ein Geisterwesen, das sich nach Belieben unsichtbar machen und durch Wände gehen könne. Wieder andere sagen, der Rabe sei ein Hirngespinst, und noch mal andere sagen, daß der Name “der Rabe” davon herrühre, daß er sich jederzeit in einen solchen Vogel verwandeln könne und daher all seinen Häschern bisher entkommen konnte. Und all jene, die nichts von dem sagen, haben ihre eigenen Theorien.


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